Samstag, 4. Oktober 2014

Völkerverständigung oder Sprachschaschlik?

Morgens um zehn in Indien. Ein hellhäutiger Mann sitzt in der Lobby seines Hotels und will Frühstück bestellen. Sein Akzent deutet schnell an: Er ist Franzose. Daneben sitze ich mit meinem French Toast und beobachte die Szenerie. Ein Hotelangestellter nach dem anderen eilt zu dem immer aggressiver auftretenden Franzosen und versucht, ihn zu verstehen – ohne Erfolg. Verständlicherweise lautete die Schlussfolgerung: "Ach, fragen wir mal das andere Weißbrot da mit seiner obercoolen Brille (ich)." Auf einmal standen also meine Französischkenntnisse auf dem Prüfstand. Er hätte sein French Toast gerne mit einem "pan naturale", grundsätzlich versteh ich das ja so halbwegs (vermutlich so etwas wie Vollkornbrot), aber so wirklich dann doch wieder nicht. Und selbst wenn: Wie übersetzt man das nun in ein Englisch, dass ein indischer Hotelangestellter versteht? Trotz meiner halbherzigen Vermittlungskunst blieb das Problem ungelöst.

Laurent et moi
Laurent allerdings, so hieß der zunehmend frustrierte Franzose, sah in meinen rudimentären Französisch-Kenntnissen eine solide Prämisse, um einen Ausflug zusammen zu machen. Auf eigene Faust beschloss er, mich zum Lotus Tempel zu begleiten. Da mir etwas Gesellschaft nach einigen eher einsamen Tagen ebenfalls gut tat, hatte ich damit auch kein größeres Problem. Allein die Toast-Sache hatte irgendwie Lust auf mehr gemacht. Denn Laurent, das war sofort zu merken, äußert seine Sonderwünsche gnadenlos und immer auf Französisch. Ob ihn dabei jemand versteht ist erstmal zweitrangig.

Das Paradoxe dabei war, dass Laurent Französisch und Spanisch exzellent und Deutsch für Anfänger beherrschte, aber komischerweise nicht einen Hauch Englisch. Sowas gibt's auch nur in Frankreich. Ich hingegen beherrsche relativ gut Deutsch und auch mein Englisch kann sich mittlerweile sehen lassen, aber Französisch und Spanisch fallen ebenfalls in die Kategorie "rudimentäre Kenntnisse". Es entstand so ein origineller Sprachschaschlik, der mit fortschreitender Dauer für reichlich Belustigung sorgte, für den all meine Französisch-Lehrer sich allerdings in Grund und Boden geschämt hätten. Sätze wie der folgende prägten unsere gesamte Unterhaltung:

Je aime India pero India est un grand chaos tambien pour mi.

Grammatikalisch absolut katastrophal, im Kontext jedoch mit reichlich Gestik und Kreativität irgendwie zu verstehen. Glücklicherweise waren wir beide intelligent genug, um zu registrieren, dass Satzanfänge, die man von Beginn an fragend beäugte, direkt stoppte und mit mäßigem Erfolg versuchte, umzuformulieren. Klingt vielleicht anstrengend, war aber lustig.

Die Krönung fand dann statt, als wir auf dem Rückweg mit den Rikscha-Fahrern über den Preis verhandelten. Falls mich mal jemand fragt, ob ich schon mal in eine Sprache übersetzt habe, die ich nicht kann, kann ich diese Frage von nun an mit ja beantworten. Ich sprach zu dem Rikscha-Fahrer auf Englisch und übersetzte dann unseren Gesprächsinhalt in einen französisch-spanischen Mix. Das Coole dabei: Laurent hat es wirklich verstanden, was ich ihm in meinem Sprachkauderwelsch übersetzte.

Lotus Tempel in Neu Delhi
Eine Frage, die sich dabei unweigerlich stellt: Wie überlebt Laurent (Zahnarzt) eigentlich seinen Aufenthalt hier? Zum Beispiel, indem er mit Rikscha-Fahrern in Zeichensprache spricht. Er zeigt mit der einen Hand die Zahl und mit der anderen die Anzahl der Nullen und anschließend macht der Fahrer dann den Daumen hoch oder runter. Was Laurent mich somit gelehrt hat: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und: Sprachen sind überbewertet, muha.

Das typische Problem aller Südeuropäer hatte allerdings auch Laurent. Sobald ich zwei Sätze am Stück verstanden hatte, dachte er, er könnte sich mit mir fließend unterhalten – ohne sonderlich langsam oder deutlich zu sprechen. Nachdem ich den dritten Satz am Stück mit "Oui, Oui." quittierte, schnallte er aber auch, dass Politikkonversationen wohl etwas zu weit führen.

Ich glaub, wenn wir irgendeine gemeinsame Sprache gehabt hätten, wären Laurent und ich noch häufiger zusammen unterwegs. So muss es nun aber wohl bei einem gemeinsamen Ausflug bleiben. Dieser war dafür aber äußerst einprägsam und lehrreich.  

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